5. Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen unter LSBTTIQ* in Brandenburg

Auch die folgenden Ergebnisse machen deutlich, dass Sorgen vor dem Coming-out beziehungsweise der Sichtbarkeit als Lesbe, Schwuler, Bisexuelle*r, Trans* oder Inter* in Brandenburg in den Erfahrungen der Befragten eine hohe Bedeutung haben. Denn von den Befragten hat etwa die Hälfte (48 Prozent) in den vergangenen fünf Jahren negative Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise geschlechtlichen Identität machen müssen. Ein Vergleich zwischen den Aussagen der in der Stadt und der auf dem Land lebenden Befragten ergibt, dass im Durchschnitt 53 Prozent der Städter*innen gegenüber 39 Prozent der im ländlichen Raum lebenden LSBTTIQ* in den vergangenen fünf Jahren diskriminiert wurden. Hierbei könnte es sich um einen für Brandenburg spezifischen Befund handeln, da Vergleichswerte aus Baden-Württemberg keine derart großen Differenzen zwischen Stadt und Land aufzeigen.33

Allerdings gibt es auch wohnort-spezifische Diskriminierungsformen: So zeigt sich, dass trotz der in den Städten höheren Diskriminierungshäufigkeit einzelne negative Reaktionen auf dem Land häufiger vorkommen, nämlich soziale Ausgrenzung, der Ausschluss aus Gruppen und Kontaktvermeidung. Bei letzterem ist der Unterschied besonders deutlich: 38 Prozent Betroffene in der Stadt, 65 Prozent auf dem Land.

Unabhängig vom Wohnort besonders häufig von Diskriminierung betroffen sind Trans*Personen. Die befragten Trans* hatten immerhin zu mehr als drei Vierteln negative Erlebnisse in den vergangenen fünf Jahren. So gibt es kaum eine befragte Trans*Person in Brandenburg, die keine Beleidigungen oder verbale Angriffe erfahren hat (92 Prozent berichten davon). Etwas mehr als die Hälfte der Lesben, 41 Prozent der Schwulen und zirka ein Drittel der Bisexuellen waren ebenfalls mit negativen Reaktionen wie Benachteiligung, Ablehnung oder Ausgrenzung konfrontiert.

Dabei berichten 80 Prozent der Betroffenen davon, angegafft zu werden und drei Viertel (76 Prozent) fühlten sich von Mitmenschen nicht ernstgenommen. Eine Vielzahl der Betroffenen sah sich auch Beleidigungen34 und verbalen Angriffen ausgesetzt und fast zwei Drittel (63 Prozent) berichten von einem unfreiwilligen Outing durch andere Menschen. Viele LSBTTIQ* in Brandenburg fühlen sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise geschlechtlichen Identität sozial isoliert: 68 Prozent erleben die Vermeidung von Kontakt und jede*r Zweite (50 Prozent) die Ausgrenzung aus einer sozialen Gruppe. Es sind insbesondere die älteren Befragten über 45 Jahren, die am häufigsten von einer solchen Ausgrenzung betroffen waren. Sie sind es auch, die deutlich häufiger (zu 50 Prozent) als Jüngere durch die Beschädigung oder den Diebstahl von Eigentum diskriminiert werden. Dafür sinkt mit steigendem Alter die Wahrscheinlichkeit (19 Prozent in den vergangenen fünf Jahren), körperliche Übergriffe wie Rempeln oder Grabschen ertragen zu müssen. Insgesamt hat jede*r Dritte (33 Prozent) bereits mindestens einmal körperliche Übergriffe in Form von Schlagen und Treten erlebt. Sieben Prozent der Betroffenen ist sexuelle Gewalt widerfahren. Diese Ergebnisse sprechen - auch angesichts der hohen Dunkelziffern (nur ein Bruchteil der Übergriffe gegen LSBTTIQ* wird angezeigt) - dafür, dass die tatsächliche Zahl der Übergriffe und Gewalttaten gegen LSBTTIQ* um ein Vielfaches höher liegt, als es die polizeilichen Anzeigestatistiken vermuten lassen.

Gefragt nach den Orten, an denen die Teilnehmer*innen Diskriminierung erfahren haben, ist die Familie der meist genannt Ort. Je jünger die Befragten, desto häufiger wurden die negativen Reaktionen in der Familie erlebt. Trans* haben in den vergangenen fünf Jahren zu 78 Prozent negative Erfahrungen innerhalb der Familie erlebt. Dies betraf auch etwa die Hälfte der Lesben und Bisexuellen. Die schwulen Befragten haben zu 28 Prozent Diskriminierung im Familienkreis erfahren.

Danach folgen die Lebensumfelder Öffentlichkeit sowie der Freizeitbereich. Während der Anteil der Lesben, Schwulen und Bisexuellen, die in den genannten Bereichen negative Erfahrungen gemacht haben, bei zwischen 30 und 40 Prozent liegt, wurden etwa zwei Drittel der Trans* an öffentlichen Orten und im Freizeitbereich diskriminiert. Generell gilt, dass Trans* wesentlich häufiger als alle anderen zu queeren Subkategorien gehörenden Befragten von negativen Reaktionen betroffen waren. Mit der Schule folgt auf Platz vier ein Ort, an denen LSBTTIQ* am häufigsten negative Reaktionen erfahren, ein Bereich, der deutlich in landespolitische Zuständigkeit fällt. Die genannten Bereiche werden in den folgenden Kapiteln näher beleuchtet.

Die folgende Übersicht zeigt zur weiteren Illustration einige der Antworten auf eine offene Frage zu den erlebten Diskriminierungserfahrungen:

  • "Alle als „regelmäßig" gekennzeichneten Aussagen außer „Gaffen" werden eher indirekt mir gegenüber geäußert, meint: Wenn es in Gesprächen um LSBTTIQMenschen geht, dann wird generell über alle abwertend und beleidigend, schon fast verbal gewalttätig gesprochen; doch selten auf mich persönlich bezogen. Das indirekte Sprechen darüber ist am schwierigsten zu greifen."
  • "Strukturelle Formen von Gewalt gehören zum meinem täglichen 'Programm', sehr massiv insbesondere bei Behörden, in Krankenhäusern, von Ärzt_innen, bei Gericht, seitens der Polizei (z.B. wurde eine Anzeige nach einem gewaltsamen Übergriff auf mich von dem Polizisten nicht aufgenommen und ich wurde allein zurückgelassen. Auch der Täter wurde nicht gesucht.)."
  • "Wenn ich sage, dass ich Lesbe bin, glauben die Leute immer sofort, zu wissen, wer ich bin oder warum ich bestimmte Dinge tue oder warum ich welche Entscheidungen treffe. So wurde mir vor kurzem bei einem Bewerbungsverfahren unterstellt, dass ich die Bewerberin, die mir als meine neue Kollegin am geeignetsten erschien, nur deshalb bevorzugen würde, weil sie - wie ich - auch lesbisch sei. Dabei war mein Auswahlkriterium rein fachlich."
  • "Das Gespräch über die Geschichte der [ermordeten] Homosexuellen [während des Nationalsozialismus] im Spezifischen fällt mehr als der Hälfte der jungen Menschen sehr schwer. Viele fühlen sich peinlich berührt, andere werden herablassend, wenn sie sich bspw. die Videoaufnahmen am Gedenkort anschauen usw."
  • "Ich war im Vorstand eines Vereins. Mir wurde unterstellt, ich würde mich gern unbeobachtet in der Nähe vom Kindergarten und Schulhof herumtreiben, um Kinder zu beobachten. Diese Beschuldigungen entbehren jeder Grundlage, [...] aber es wird hier auf dem Land mit Homosexualität assoziiert. Ich habe den Vorstand des Vereins verlassen, da wir auch eine Jugendgruppe haben, mit der ich aber gar nichts zu tun hatte. Ich habe den Rückzug angetreten, um gar nicht erst irgendwelche neuen Gerüchte diesbezüglich aufkommen zu lassen."
  • "Allein, dass ich ständig ein Geschlecht angeben muss bzw. dem weiblichen Geschlecht zugewiesen werde, ist eine negative Erfahrung für mich. Allein, dass meine Identität/Nicht-Identität für die meisten Leute nicht sichtbar ist, weil wir in ihrem Weltbild nicht vorkommen (oder nur als problematische Exoten), ist eine negative Erfahrung. Erst werde ich als Frau gelesen und dann auch noch als Hetera."
  • "Ich bin sicher, dass ich viele negative Reaktionen dadurch vermieden habe, dass ich mir meine sexuelle Identität nicht habe anmerken lassen! Ich gehe nicht öffentlich mit meiner Frau Hand in Hand. [...] Ich rede auf einer Versammlung über meine Frau, es gibt laute Nachfragen, großes Unverständnis, vereinzelt Lachen. Kollegin erzählt von ihrem Urlaub im Ausland, ich solle auch mal hinfahren. Sage, dass mir das in meiner Familienkonstellation zu gefährlich ist. Die Runde ist sich einig, ich solle mir das Lesbischsein einfach nicht anmerken lassen."

Offene Antworten auf die Fragen: "Haben Sie weitere negative Reaktionen erlebt, die in der vorangegangenen Frage nicht aufgeführt waren? Falls ja, beschreiben Sie diese bitte kurz." / "In welcher Situation haben Sie negative Reaktionen aufgrund Ihrer sexuellen Identität bzw. Ihrer Zugehörigkeit zu TTI*-Menschen erlebt?" / "Wenn Sie bei der vorangegangenen Frage angegeben haben, dass Sie negative Erfahrungen in Ämtern und Behörden oder im Freizeitbereich gemacht haben, schildern Sie bitte hier kurz, wo genau Sie diese Erfahrungen gemacht haben."

Wie sind diese ersten Befunde zur Diskriminierungserfahrungen in Brandenburg einzuordnen? Das Niveau der Diskriminierungserscheinungen in der Summe liegt in Brandenburg (48 Prozent von Diskriminierung Betroffene innerhalb der vergangenen fünf Jahre) minimal unter dem aus Baden-Württemberg berichteten Erfahrungen (54 Prozent).35 Die erlebten Diskriminierungsformen ähneln sich stark und werden von „Gaffen“, „nicht ernst genommen werden“ und „lächerlich gemacht werden“ angeführt. Eine der schwerwiegendsten negativen Erfahrungen, sexualisierte Gewalt, wird von sieben Prozent der befragten LSBTTIQ* im Land Brandenburg leicht häufiger berichtet als in Baden-Württemberg (5 Prozent).36 Wie die negativen Reaktionen in den verschiedenen öffentlichen, schulischen und beruflichen Umfeldern und Lebenssituationen ausfallen, werden die folgenden Kapitel erläutern.

 


33 Vgl. Lebenssituation von LSBTTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, S. 21. In der Befragung des DJI wurde ebenfalls deutlich, dass die Jugendlichen, die in Großstädten leben, am häufigsten Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Dafür ist das Coming-out im ländlichen Raum eine größere Herausforderung. Vgl. Coming-out - und dann...?!, S. 29 und 20.
34 In einer aktuellen Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu den Diskriminierungserfahrungen anhand der sexuellen Orientierung (nicht geschlechtlichen Identität), die auf den Daten einer Ende 2015 durchgeführten Umfrage (über 18.000 Teilnehmer*innen) zu erlebten und beobachteten Diskriminierungserfahrungen beruhen, zeigen sich ähnliche Ergebnisse, wenn auch auf niedrigerem Niveau: Etwa ein Drittel der Befragten gab an, abwertende Witze ertragen zu müssen beziehungsweise unerwünschte sexualisierte Kommentare. Etwa 40 Prozent der Befragten erlebte Beleidigungen/Beschimpfungen oder dass ihnen Rechte, die andere Personen haben, nicht zugestanden wurden. Die am häufigsten genannte Diskriminierungsform war: „Menschen wie ich wurden herabwürdigend dargestellt" (53 Prozent). Vgl. Kalkum, Dorina; Otto, Magdalena (2017): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland anhand der sexuellen Identität. Ergebnisse einer quantitativen Betroffenenbefragung und qualitativer Interviews. Hg. v. Antidiskriminierungsstelle des Bundes. S. 20. URL: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/Expertise_Diskrimerfahrungen_in_DE_anhand_der_sex_Identitaet.pdf?__blob=publicationFile&v=4.
35 Vgl. Lebenssituation von LSBTTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, S. 20.
36 Vgl. ebd. S. 23.

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