6.2 Bildung

Im Fragebogen wurde auch nach negativen Erfahrungen und Benachteiligungen in einem für die meisten Menschen sehr prägenden Lebensbereich gefragt, nämlich dem Bildungsbereich. Die Ergebnisse zeigen: Schule, inklusive der Berufs- und Fachschulen, ist der Ort, an dem nach der eigenen Familie, der Freizeit und der Öffentlichkeit am häufigsten diskriminierende Erfahrungen von den Befragten gemacht worden sind. Gut ein Drittel der Online-Befragten haben negative Erfahrungen in der Schule gemacht. Besonders betroffen sind Trans*-Personen, von denen zwei Drittel angeben, diskriminierende Schulerfahrungen gemacht zu haben beziehungsweise aktuell erleben. 22 Prozent der Trans* berichten sogar von regelmäßigen Benachteiligungen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität.41

Im Vergleich zu den Befragungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird in brandenburgischen Bildungseinrichtungen (36 Prozent) deutlich seltener von Diskriminierung und Benachteiligung berichtet. In Baden-Württemberg haben 77 Prozent der Befragten mindestens einmal innerhalb von fünf Jahren diskriminierende Erfahrungen an Schulen, Fach- oder Berufsschulen gemacht und 55 Prozent an den Hochschulen.42 Dagegen berichteten 54 Prozent der Befragten in Rheinland-Pfalz davon, regelmäßig beziehungsweise mehrmals an den Schulen, Berufs- und Fachschulen Diskriminierung erlebt zu haben, und ein Viertel an den Hochschulen.43

Dabei verteilen sich alle berichteten Diskriminierungserfahrungen in Brandenburg gleichmäßig auf Schulen in größeren Städten wie auf Schulen im ländlichen Raum – es gab hier keine signifikanten Unterschiede nach Wohnort der Befragten.

Neben der Häufigkeit erfahrener Benachteiligungen interessiert auch deren Ausprägung in den unterschiedlichen Schulformen. Besonders stark fallen die negativen Reaktionen laut Aussage der Befragten an den Allgemeinen Schulen Brandenburgs aus. Hier wertet mehr als jede*r zweite Befragte die erlebten Reaktionen als sehr stark oder stark negativ. Dagegen überwiegen an den Hochschulen eher schwächere Formen der Diskriminierung von LSBTTIQ*.

Welche konkreten Formen der Diskriminierung und Benachteiligung an den Bildungseinrichtungen des Landes wurden und werden gemacht? Zahlreiche Befragte geben hierzu ihre Erfahrungen offen wieder. Diese reichen von abwertenden Blicken mancher Mitstudent*innen bis hin zu diskriminierenden Situationen für Kinder aus Regenbogenfamilien. So berichtet eine Mutter, die ihr Kind zusammen mit ihrer Partnerin aufzieht, von abwertenden Bemerkungen von Mitschüler*innen und aufgrund dieser Erfahrung von Geheimhaltung der Familiensituation gegenüber einem Teil der Mitschüler*innen. Die nachstehende Übersicht gibt einen Auszug aus verschiedenen Antworten auf offene Fragen in diesem Kontext:

Offene Antworten auf die Frage: „Haben Ihr/e Partner_in und / oder Ihr/e Kind/er und / oder andere Ihnen nahestehende Menschen (z.B. Eltern oder Geschwister) in den vergangenen fünf Jahren aufgrund Ihrer sexuellen Identität bzw. Zugehörigkeit zu TTI*-Menschen negative Reaktionen erfahren? Welche negativen Reaktionen wurden erlebt?“

Dass es sich bei diesen Aussagen nicht um Einzelfälle handelt, machen die folgenden Ergebnisse deutlich: Gefragt wurde nach den Erfahrungen von LSBTTIQ* mit dem Lehrpersonal an Schulen und Hochschulen44 ebenso wie nach Erfahrungen mit Mitschüler*innen und Mitstudierenden. Neben positiven Signalen wie der Auskunft, dass sich 69 Prozent der Befragten vom Lehrpersonal und 63 Prozent der Befragten von ihren Peers anerkannt und wertgeschätzt fühlen45, sind allerdings auch Diskriminierungserfahrungen zu verzeichnen:

So wird nicht nur von körperlichen Übergriffen durch Mitschüler*innen und Mitstudent*innen (17 Prozent der Befragten, unter schwulen Schülern gar 25 Prozent der Befragten), sondern auch durch Lehrpersonal (7 Prozent) berichtet. In jedem achten Fall sind Schulwechsel die Folge. Abwertende Äußerungen unter Gleichaltrigen und ein Gefühl der Ungleichbehandlung durch pädagogische Fachkräfte haben zirka ein Drittel der Befragten innerhalb der vergangenen fünf Jahre erlebt – im Vergleich trifft dieses Gefühl der ungerechten Behandlung durch Lehrkräfte nur auf acht Prozent der rheinland-pfälzischen LSBTTIQ*-Befragten zu.46

Ein Outing im Bildungsbereich scheint auch heute noch problematisch zu sein. So geben drei Viertel der Befragten in Brandenburg an, nicht vor dem Lehrpersonal geoutet zu sein. Gut die Hälfte der Befragten sagt das Gleiche im Hinblick auf ihre Peers. Dabei sind besonders viele LSBTTIQ*-Schüler*innen in den Großstädten nicht geoutet (82 Prozent), während in Schulen auf dem Land vergleichsweise mehr Outings zu verzeichnen sind (64 Prozent nicht geoutet). Einer besonderen Diskriminierungslage sind Trans*Schüler*innen und -Student*innen ausgesetzt. Ein Viertel unter ihnen beklagt, nicht im für sie richtigen Geschlecht angesprochen zu werden. Mehr als jede*r Zweite fühlt sich aufgrund der eigenen geschlechtlichen Identität vom Lehrpersonal ungerecht behandelt. Dieser Wert liegt deutlich über dem in Rheinland-Pfalz berichteten Niveau (dort berichten 20 Prozent der Trans* von Ungleichbehandlung aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität durch Lehrkräfte).47

Konkreter Handlungsbedarf wird deutlich, schaut man sich die hilfeleistenden Reaktionen von Mitschüler*innen und Mitstudent*innen sowie der Lehrkräfte und Dozent*innen an: Denn gut einem Drittel der Befragten kam in den erlebten Diskriminierungssituationen niemand zu Hilfe. Dort, wo Hilfe geleistet wurde, kam sie zu einem überwiegenden Teil (57 Prozent) von den Gleichaltrigen beziehungsweise Peers. Nur in selteneren Fällen wurde Unterstützung von Lehrkräften und Dozent*innen berichtet (25 Prozent).

Daraus ist zweierlei abzuleiten: Zum einen mag es sein, dass Lehrkräfte zu selten von Diskriminierungshandlungen aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Identität erfahren (schließlich gaben drei Viertel der Befragten an, vor dieser Gruppe nicht geoutet zu sein). Zum anderen kann dem Bildungspersonal beispielsweise durch Qualifikation oder klare Leitfäden professionelles Eingreifen leichter gemacht beziehungsweise vorgeschrieben werden (Lehrpersonal, das selbst zu Täter*innen wird, wird andernfalls kaum einschreiten).

 


41 Die Nennungen beziehen sich allesamt auf Erfahrungen aus den vergangenen fünf Jahren.
42 Vgl. Lebenssituation von LSBTTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, S. 29.
43 Vgl. Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen in Rheinland-Pfalz, S. 42. In Rheinland-Pfalz wurde nach Diskriminierungserfahrungen generell gefragt, nicht nach den vergangenen fünf Jahren.
44 Die überwiegende Mehrheit der Befragten (83 Prozent) bezieht ihre Angaben auf erlebte Situationen in den Allgemeinen Schulen. Eine detaillierte Aufschlüsselung der Befunde nach Allgemeinen Schulen, Berufs- und Fachschulen sowie Hochschulen ist auf Basis teilweise geringer Fallzahlen in den einzelnen Institutionen nicht sinnvoll.
45 Dies entspricht einer signifikant höheren Wertschätzung, als von den Befragten in Rheinland-Pfalz berichtet wird. Dort fühlt sich nur gut jede*r Dritte (34 Prozent) von seinen Peers anerkannt. Vgl. Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen in Rheinland-Pfalz, S. 46.
46 Vgl. Lebenssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen in Rheinland-Pfalz, S. 46.
47 Vgl. ebd. S. 50.

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