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Queeres Brandenburg
Landeskoordinierungsstelle
Wir gewinnen den Kampf um Vielfalt und Gleichstellung nicht in den Metropolen,
sondern in den Dörfern und Städten Brandenburgs.
 

6.1 Familie und Freundeskreis

So wichtig die Familie für das persönliche Coming-out und die Lebenszufriedenheit ist, so sehr berichten die Befragten von negativen Erfahrungen innerhalb des Familienkreises. Das Lebensumfeld Familie ist sogar dasjenige, in dem von den meisten Befragten diskriminierende Erfahrungen gemacht wurden. Obwohl weit mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer*innen angeben, dass ihre sexuelle Orientierung beziehungsweise geschlechtliche Identität im Familienkreis positiv aufgenommen wurde, machten mehr als ein Drittel der Befragten die Erfahrung, dass ihre sexuelle Orientierung in manchen Fällen nicht mitgedacht, nicht ernst genommen oder absichtlich ignoriert wurde.

Der Anteil der Trans*-Befragten war bei diesen Antworten jeweils doppelt so hoch oder höher im Vergleich zu lesbischen, schwulen und bisexuellen Brandenburger*innen, die diese Erfahrungen gemacht haben. Zehn Prozent der Trans* wurden gar von Familienmitgliedern körperlich angegriffen oder verprügelt. Während nur etwa 15 Prozent der Lesben, Schwulen und Bisexuellen damit zu kämpfen haben, dass Familienmitglieder übertriebenes Interesse an ihrer sexuellen Identität zeigen, sehen sich 60 Prozent der Trans* mit indiskreten Nachfragen konfrontiert. Das lässt darauf schließen, dass das Wissen über Transsexualität, Transgender oder etwa den Prozess der Transition gering ist und eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf diese Themen besteht.

Die Frage nach der Situation innerhalb der eigenen Familie wurde aus der Studie des DJI zu Comingout-Prozessen von Jugendlichen übernommen und aus methodischen Gründen um eine positive Antwortmöglichkeit ergänzt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Antworten der brandenburgischen Befragten stark mit denen der DJI-Umfrage vergleichbar sind. Beispielsweise berichten 41 Prozent der Brandenburger Befragten (gegenüber 64 Prozent in der DJI-Studie), sich mit ihrer sexuellen Orientierung innerhalb ihrer Familie nicht ernstgenommen zu fühlen.37 Dass immer noch LSBTTIQ* auch in Brandenburg mit Akzeptanzproblemen in ihrer Herkunftsfamilie zu kämpfen haben, entspricht Ergebnissen aus Bevölkerungsbefragungen. In diesen geben etwa 40 Prozent der Deutschen an, dass es ihnen eher oder sehr unangenehm wäre, wenn ihr Sohn schwul beziehungsweise ihre Tochter lesbisch wäre.38 Darüber hinaus gibt es noch etliche Menschen, die davon ausgehen, dass man beeinflussen kann, ob man homosexuell ist oder nicht - eine Einschätzung, die je nach Bildungsstand unterschiedlich stark ausgeprägt ist.39

In eine Familie wird man hineingeboren, wächst mit ihr auf und entschließt sich im Erwachsenenalter, eine eigene Familie zu gründen - oder nicht. In der Online-Befragung sollte es neben den Erfahrungen mit Eltern, Geschwistern und anderen Verwandten der Herkunftsfamilie auch um die eigene Familienkonstellation und -planung der Befragten gehen. Zum Zeitpunkt der Befragung lebten 40 Prozent der LSBTTIQ* in einer festen Partnerschaft, 19 Prozent in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und drei Prozent in einer (heterosexuellen) Ehe. 39 Prozent der Befragten leben ohne feste*n Partner*in. Bedingt durch die hohe Anzahl homosexueller Befragungsteilnehmer*innen in der Stichprobe, handelt es sich bei den festen Partnerschaften zu 90 Prozent um gleichgeschlechtliche Partnerschaften.40 Knapp die Hälfte der Trans* und Bisexuellen gibt dazu an, derzeit ohne feste*n Partner*in zu leben. Von den schwulen Befragten sind 41 Prozent ohne Partner, 36 Prozent leben in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, 22 Prozent in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Etwa die Hälfte der Lesben (46 Prozent) lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, ein Viertel (25 Prozent) in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Mit 18 Prozent ist der Anteil der Trans* sowie der der Bisexuellen, die in einer Ehe leben, unter den befragten Gruppen am höchsten.

Der Vergleich zwischen den verschiedenen Altersgruppen zeigt, dass besonders viele Menschen zwischen 16 und 29 Jahren (52 Prozent) derzeit ohne Partner*in sind, während die Befragten über 45 Jahren nur zu 12 Prozent als Singles leben.

In der Befragung zeichnet sich ab, dass Lesben in Brandenburg deutlich häufiger als LSBTTIQ* mit Kindern in einem Haushalt leben. Ein Drittel der Lesben gibt an, Kinder unter 18 Jahren im Haushalt zu haben - davon 20 Prozent ein Kind, 13 Prozent zwei und ein Prozent vier Kinder. Im Vergleich: nur vier Prozent der Schwulen leben mit Kindern unter 18 Jahren sowie 21 Prozent der Bisexuellen und 23 Prozent der Trans*. Insgesamt leben vier Fünftel der Befragten kinderlos.

Die befragten LSBTTIQ*, die mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben (ca. 20 Prozent), wurden danach gefragt, ob diese Familie als Regenbogenfamilie – eine Familie, in der mindestens ein Elternteil nicht heterosexuell ist – gilt. Etwa zwei Drittel der Befragten (65 Prozent) bejahten diese Frage. Von den Lesben, die mit Kindern unter 18 Jahren in einem Haushalt leben, gaben 81 Prozent an, als Teil einer Regenbogenfamilie zu leben.

Zum Teil sind nicht nur die Menschen, die nicht in das heteronormative Zweigeschlechtersystem passen, von Diskriminierung betroffen, sondern auch diejenigen, die ihnen nahestehen, wie Familie oder Freunde. Die Befragungsergebnisse zeichnen ein deutliches Bild: Besonders häufig sind es Partner*innen oder andere Menschen im Umfeld der Trans*Befragten, die negativen Reaktionen ausgesetzt sind, allein weil sie mit Trans* in Verbindung stehen. Zwei Drittel der Trans*, die an der Befragung teilgenommen haben, geben dies an. Hingegen verneinen die Frage nach Diskriminierungserfahrungen 56 Prozent der Bisexuellen, 57 Prozent der Lesben und 63 Prozent der Schwulen. Elf Prozent der lesbischen Befragten bestätigen, dass ihr/e Kind/er Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung ihrer Eltern ausgesetzt sind.

In der folgenden Übersicht sind einzelne Antworten der Studien-Teilnehmer*innen dargestellt, die sich auf Familie und Freundeskreis beziehen. Sie schildern verschiedene Diskriminierungsformen, die als Alltagssituationen von LSBTTIQ* in Brandenburg so im quantitativen Teil der Umfrage nicht abgefragt wurden.

  • "Nicht ernst nehmen der Partnerschaft: Meine Partnerin wurde nicht vorgestellt vor anderen, es wurde davon ausgegangen, dass es eine Phase ist und irgendwann der Richtige kommt, meine Beziehung wurde von anderen geheim gehalten."
  • "Ausgrenzung von anderen Kindern und insbesondere anderen Elternteilen im schulischen und freizeitlichen Bereich"
  • "Direkte Beschimpfungen, die Empfehlung, die Partnerschaft zu beenden, weil ich aufgrund meiner sexuellen Einstellungen 'nicht treu sein könnte', die Empfehlung, die Freundschaft mit mir zu beenden, da die Aussage, nicht heterosexuell zu sein, lediglich zur Aufmerksamkeitsgewinnung dient"
  • "Eltern werden im Freundeskreis gemobbt: Ihr Kind sei 'krank und abartig' und es sei eine Frage der Erziehung, die wohl 'schief ging'. Ein Sexualpartner wurde von seinen Freunden verspottet, dass er ja nicht schwul sein kann, wenn er mit einem Transmann Sex hat."
  • "Mein Vater hat zwei Töchter. Welche, die Dunkelhaarige oder die Lesbe? Dass ich blond bin, steht nicht mehr im Vordergrund."
  • "Meine Schwester hat mein Coming-out komplett ignoriert, nannte mich bei meinem Geburtsnamen, rollte mit den Augen wenn ich anfing, mit ihr darüber zu reden und war alles in allem in jeder Hinsicht unsensibel. Selbst wenn ich versuchte, ihr die Lage zu schildern, blockte sie komplett ab. Traurig ist das gerade, weil sie meint, ein Befürworter der LGBTQ-Community zu sein."
  • "Ich sollte in der Notaufnahme das Behandlungszimmer verlassen, als mein Sohn behandelt wurde, da die leibliche Mutter da war."
  • "Insbesondere strukturelle Diskriminierung, da ich in einer Regenbogenfamilie lebe und dadurch nicht gleichgestellt bin. Latent schwingt die Angst vor Diskriminierung immer mit [und] Angst, dass mein Kind ausgegrenzt wird. Sehr häufig [gibt es] negative Kommentare über die Familienkonstellation (Vater als Spender, der mehrere Kinder gezeugt hat, und Kontakt hält). Ausgefragt werden über Entstehung des Kindes."
  • "Partnerin soll unsere Beziehung laut ihrer Familie bitte nur im Verborgenen ausleben, es wirft schließlich ein schlechtes Licht auf die Familie. Man müsse sonst umziehen."

Offene Antworten zur Frage: "Haben Ihr/e Partner*in und/oder Ihr/e Kind/er und/oder andere Ihnen nahestehende Menschen (z.B. Eltern oder Geschwister) in den vergangenen fünf Jahren aufgrund Ihrer sexuellen Identität bzw. Zugehörigkeit zu TTI*-Menschen negative Reaktionen erfahren? Welche negativen Reaktionen wurden erlebt?"

Von besonderem Interesse ist die Frage, ob und in welchem Umfang brandenburgische LSBTTIQ* in (staatlichen) Institutionen Diskriminierungen aufgrund ihrer Familienkonstellation erleben. Bei den Ergebnissen fällt auf, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle wie bereits in den vorhergehenden Feldern über vergleichsweise weniger negative Erlebnisse berichten. Die befragten Trans* aus Brandenburg wurden nach eigenen Angaben deutlich häufiger in Jugendämtern, Sozialämtern, im Einwohnermeldeamt, der Agentur für Arbeit, Standesämtern, bei Gericht, im Schul- oder Finanzamt, in Jugend- aber auch Beratungseinrichtungen diskriminiert. Diese Beobachtung zieht sich durch alle Lebensbereiche, die in der Online-Befragung thematisiert wurden.

Die Orte, von denen Benachteiligungen berichtet wurden, sind mit 14 Prozent Betroffenen die Jugendämter sowie mit 13 Prozent Betroffenen die Finanzämter, ebenso wie die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter (13 Prozent). Daraus lässt es sich ableiten, dass 85 bis 90 Prozent der befragten LSBTTIQ* in Brandenburg, die in Kontakt mit den jeweiligen Behörden stehen, keine negativen Erfahrungen bezüglich ihrer Familienkonstellation gemacht haben.

 


37 Vgl. Coming-out - und dann...?!, S. 20.
38 Vgl. Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland, S. 68.
39 Vgl. ebd. S. 84.
40 Mit Etablierung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare im Sommer 2017 dürften sich diese Werte in der nahen Zukunft merklich verändern und der Anteil von Eheschließungen in der LSBTTIQ*-Community deutlich erhöhen.

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