6.5 Gesellschaftliche Teilhabe, Freizeit und Kultur
Für eine selbstverständliche Teilhabe ist es wichtig, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* in der Gesellschaft sichtbar sind, dass es sowohl Angebote allein für Interessensgruppen für queere Menschen, aber auch Begegnungsstätten gibt, die dazu beitragen, dass Vorurteile gegenüber LSBTTIQ* abgebaut werden können. Daher wurden die Teilnehmer*innen danach gefragt, welche Angebote aus der LSBTTIQ*-Community ihnen besonders wichtig sind.
Die Antworten der befragten Gruppen unterscheiden sich nicht sonderlich voneinander. Zunächst wurden die Beratungsangebote genannt, die Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* mit knapp hundert Prozent Zustimmung am wichtigsten erscheinen: Coming-out-Beratung, Beratung in Fällen von Benachteiligung, Ablehnung und Ausgrenzung sowie Rechtsberatung. Direkt danach folgen Selbsthilfegruppen und (politische) Interessenvertretung, die für Lesben wie Schwule sowie Trans* und Bisexuelle von besonders großer Bedeutung sind. Allein Gesundheits- und Bildungsangebote werden von Trans* als wichtiger eingestuft als von den anderen Gruppen. Dieses Ergebnis resultiert möglicherweise daraus, dass Trans* deutlich häufiger mit gesundheitlichen Fragestellungen und spezifischen Problemen (vor allem innerhalb eines Transitionsprozesses) konfrontiert sind als Lesben, Schwule oder Bisexuelle. Der höhere Bedarf, der bei Bildungsangeboten gesehen wird, kann damit zusammenhängen, dass Transsexualität und damit verbundene Themen wie Transition vielen Menschen fremd und dadurch mit Vorurteilen behaftet sind.
Beim Blick auf das Alter der Befragten ist festzustellen, dass gerade die jüngeren (und ebenfalls solche mit geringem Einkommen) Bildungsangebote für wichtiger halten als ältere brandenburgische LSBTTIQ*. Das Alter spielt auch eine Rolle, wenn es um die Bewertung von kulturellen Freizeitangeboten geht. Jugendlich Befragte bis 29 Jahren sind derartige Angebote (ähnliche Ergebnisse bei der Antwort "Sportangebote") deutlich wichtiger (83 Prozent) als befragten Brandenburger*innen ab 45 Jahren (61 Prozent). Was gastronomische Szeneeinrichtungen betrifft, stellte sich eine unterschiedliche Einschätzung der städtischen beziehungsweise ländlich lebenden LSBTTIQ*-Befragten heraus. Für die Städter*innen sind derartige Angebote zu 81 Prozent wichtig, den LSBTTIQ* auf dem Land nur zu 63 Prozent.
Damit Trans* und Inter* ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft werden, ist es wichtig, über geschlechtliche Vielfalt aufzuklären. Wie in vielen anderen Bereichen, wenn es um Selbstbestimmung und Gleichstellung geht, sind Bildung und Begegnung gute Möglichkeiten, um Klischees abzubauen und Vorurteile abzuschaffen. Und so gehen auch die meisten offenen Antworten auf die Frage, wie man die Begriffe Trans- und Intergeschlechtlichkeit einer breiteren Masse zugänglich machen könnte, zumeist in die Richtung Aufklärungskampagnen:
- "'Was bedeutet eigentlich...'-Kolumnen in Zeitungen; Aufklärungsprojekte in Schulen, Behörden, Ämtern, Krankenhäusern, Arztpraxen etc."
- "Bereits in Kinderbüchern/-sendungen Homosexuelle und Transsexuelle mit in das alltägliche Lernen von Kindern einbinden, so dass diese keine Besonderheit oder Abnormalität für diese darstellen."
- "Die Begriffe müssen durch Öffentlichkeitsarbeit der Verwaltung und der Interessengruppen immer wieder erklärt werden, vor allem Mulitplikator*innen, z. B. Journalist*innen. Jede betroffene Person sollte in ihrem Umfeld aufklärend wirken. Broschüren mit Begriffsklärungen sind dabei eine Hilfe."
- "Einbringung der Themenschwerpunkte in die Aus- und Fortbildung"
- "Mehr Aufklärungsarbeit mit Hilfe der BZgA59, mehr Spielfilme, in denen das Thema gezeigt wird. Nur wenn queere Menschen regelmäßig normal zu sehen sind - auch und besonders in Spielfilmen -, kann die Allgemeinheit lernen, damit umzugehen. Wer nicht gesehen wird, kann nicht verstanden werden."
- "Das Wort "queer" finde ich aber sehr verschleiernd. Außerhalb akademischer Kreise können wenige Menschen etwas damit anfangen. Wo möglich, sollten auch die Begriffe schwul und lesbisch benutzt werden. Diese sind klar verständlich und außerdem negativ belegt - wenn sie selbstbewusst verwendet würden, wäre der Sache sehr gedient."
- "Die Erwachsenenbildung (VHS, Bildungswerke der evang. Kirche) sollte gefördert werden (auch finanziell), zu dem Thema Veranstaltungen anzubieten und passende betroffene Referenten einzuladen."
Offene Antworten zur Frage "Haben Sie Verbesserungsvorschläge, wie die Begriffe 'Transsexualität, Transgender, Intersexualität und Genderqueer' einer breiteren Öffentlichkeit / der 'Allgemeinbevölkerung' bekannt gemacht werden können?"
Neben der Aufklärung der gesamten Bevölkerung sind Angebote speziell für Trans*-Menschen eine Möglichkeit, Vernetzung und Beratung zu schaffen. Acht Prozent der befragten Trans* in Brandenburg geben an, weder eine Ansprechperson im privaten Umfeld, noch eine Anlaufstelle außerhalb zu haben, an die sie sich bei Sorgen oder Schwierigkeiten wenden können. Die größte Gruppe (42 Prozent der Trans*) hat Menschen im privaten Umfeld, ein Drittel kennt Anlaufstellen sowie Personen im weiteren Umfeld. Allerdings sind nur die Hälfte der befragten Trans* mit den Selbsthilfeangeboten in ihrer Umgebung zufrieden. Auffällig ist, dass hier besonders die Trans* unter 30 Jahren zustimmen - zehn der zwölf Trans*, die sich aufgefangen fühlen, gehören zu dieser jüngsten Altersgruppe. Zielgruppengerechte Angebote für ältere Trans*-Personen scheinen in Brandenburg aus Sicht der Betroffenen wünschenswert. Um die Sichtbarkeit und das Wissen um LSBTTIQ* zu erhöhen, gibt es in Brandenburg Vereine, Verbände, Selbsthilfegruppen und Projekte mit queerem Themenschwerpunkt. Es war aufgrund der Rekrutierungsmechanismen zu erwarten, dass die Teilnehmer*innen an der Studie zu einem gewissen Teil aus diesem Feld von Menschen kommen, die sich ehrenamtlich für die Belange von schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen in Brandenburg engagieren. Insofern liegen die Antwortzahlen auf die Frage nach dem Engagement in einem sehr hohen Bereich: Von den an der Studie teilnehmenden Städter*innen berichten 48 Prozent von ihrem Engagement, während sich die Befragten aus den eher ländlichen Regionen zu einem Drittel engagieren. Dies kann auf die weniger gut ausgeprägten Vereinsstrukturen auf dem Land, aber auch auf die möglicherweise wenig ausgeprägte Mobilität der Befragten im ländlichen Raum und vielleicht auch auf andere Möglichkeiten des Engagements hinweisen.
Gerade die befragten Trans*-Menschen engagieren sich zu 62 Prozent, während 45 Prozent der schwulen und 40 Prozent der lesbischen sowie 28 Prozent der bisexuellen Befragten von einem ehrenamtlichen Engagement berichten. Die Schwulen, die sich engagieren, sind zu 73 Prozent in Vereinen, einer Initiative oder Gruppe regelmäßig aktiv. Dasselbe gilt auch mit 54 Prozent für den größten Teil der befragten Trans*. Die lesbischen Befragten sind zu 45 Prozent am häufigsten bei besonderen Anlässen wie dem CSD, IDAHOT, Protestaktionen oder anderen Veranstaltungen aktiv. Auch die Bisexuellen nutzen zu 60 Prozent solche Veranstaltungen, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Aus den offenen Antworten auf die Frage nach Hinderungsgründen, bei LSBTTIQ*-Vereinen mitzuwirken, wird deutlich, dass vielen Befragten in ihrer Umgebung keine Vereine zur Verfügung stehen beziehungsweise sie diese nicht kennen. Es werden aber auch weitere Gründe genannt, die in der folgenden Übersicht ausschnittweise dargestellt sind.
- "Als asexuelle Person habe ich nicht unbedingt einen Bezug zu LSBTTIQ*-Vereinen etc. Es gibt in meiner Stadt keinen Treffpunkt für die asexuelle Community"
- "Durch Psycho- und Hormontherapie, häufige Fragen etc. bin ich so oft mit meiner sexuellen Identität konfrontiert, dass ich mich ehrenamtlich lieber in einem anderen Bereich betätige."
- "Es gibt hier keine Anlaufstelle oder Beratungsstelle oder Verein...komme mir vor wie außerirdisch."
- "Fehlende Vereine/Initiativen, besonders altersgruppenentsprechend, bzw. ich weiß von keinen (möglicherweise existieren sie, aber sind nicht einfach zu finden/nicht sehr öffentlich)."
- "Ich fühle mich mehr akzeptiert in der Masse der Menschen, als wenn ich mich besonders hervorheben muss. Die Vereine betonen mir zu sehr das schwul/lesbische Leben. Aber ist dieses denn anders als das heterosexueller Paare?! Oft spielt gerade das Thema der Sexualität die Hauptrolle und nicht die Akzeptanz des Andersseins."
- "Ich sehe (A)sexualität nicht als wichtigen Teil von mir an. Ich gehe beim CSD mit, um Solidarität zu zeigen und andere zu informieren. Aber ich suche keine Berührung mit dem Thema, da es auch aus queeren Kreisen teilweise Ablehnung gibt."
- "Ich trage meine sexuelle Orientierung nicht betont nach außen, sie ist ein Teil von mir und meiner individuellen Lebenswelt, den ich weder absichtlich betone noch unterdrücke/verschweige. Ich fürchte allerdings auch, mich durch öffentliche Betonung angreifbarer zu machen. In meiner eigenen Umgebung kann ich allerdings gut dazu stehen, eine Frau zu lieben. Bis dahin war es für mich aber ein längerer Weg..."
- "Leider leben viele homosexuelle Männer sehr stark Klischees aus und das Thema Sex ist sehr präsent. Als monogames Paar findet man nur schwer Anschluss in der Szene und stößt zum Teil auf großes Unverständnis, warum man seit vielen Jahren monogam lebt. Das ging uns letztendlich zu stark auf die Nerven. Zusätzlich sehen wir Homosexualität als etwas Normales und suchen uns unsere Freunde nicht nach der sexuellen Orientierung aus. Für uns ist die Szene selber auch eine gewisse Form der Abgrenzung"
Offene Antworten auf die Frage "Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie sich nicht in einer LSBTTIQ*-Initiative / einem LSBTTIQ*-Verein engagieren (z.B. Nichtvorhandensein von LSBTTIQ*- Vereinen oder –Initiativen in der näheren Umgebung, keine altersgruppenentsprechenden Angebote)?" und Äußerungen zu queeren Vereinen
Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass sie im kulturellen wie im sportlichen Freizeitbereich bisher keine negativen Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise geschlechtlichen Identität oder Familienkonstellation gemacht hat. Bisexuelle sind am seltensten (nur 6 Prozent der Befragten) von Diskriminierung im Freizeitbereich betroffen. Auch die befragten Lesben geben zu 87 Prozent an, nicht diskriminiert worden zu sein. Von den schwulen Befragten aus Brandenburg ist es etwa ein Viertel, das negative Erfahrungen im Freizeitbereich gemacht hat. Zehn Prozent mehr sind es bei den Trans*. Jene haben hauptsächlich (23 Prozent) im sportlichen Bereich Negativerfahrungen gemacht. Auch der größte Anteil (17 Prozent) der schwulen Befragten mit Diskriminierungserfahrungen im Freizeitbereich gibt an, während einer sportlichen Aktivität diskriminiert worden zu sein. Insgesamt waren im Bereich der kulturellen und sportlichen Freizeit im Schnitt etwa 20 Prozent der Befragten von negativen Reaktionen betroffen.
In der folgenden Übersicht sind Erfahrungen der Befragten aus ihrer Freizeit beispielhaft aufgelistet.
- "Jegliches Mainstream-Freizeitangebot ist für Hetero-Singles, Paare oder klassische Kleinfamilien gemacht bzw. wird mit solchen Fotos geworben. Andersartige werden nicht mitgedacht. Ich fühle mich nicht gesehen, nicht eingeladen und halte mich lieber raus bei so "Volksveranstaltungen" oder Gemeindeveranstaltungen."
- "Ich bin Mitglied der freiwilligen Feuerwehr. Zwei Kameraden möchten es nicht verstehen, dass ich diesen, den meinen, Weg wähle, um so zu leben. Wir gehen uns weitestgehend aus dem Weg."
- "Ich spiele Fußball und bestätige damit das Klischee. Alle Fußballerinnen seien lesbisch, daher wurden auch neue Spielerinnen von Eltern abgemeldet, damit sie nicht auch lesbisch 'werden'- in vielen Vereinen ist es eher männerdominiert und es werden blöde Sprüche gegenüber frauenliebenden Frauen gemacht."
- "Die Umkleidekabine oder Duschen, etwa nach dem Schwimmen, sind ein Ort, wo heterosexuelle Cis-Menschen starke Berührungsängste haben. Beim Sport selbst aber nicht."
Offene Antworten auf die Frage "Welche negativen Reaktionen haben Sie bei einer kulturellen/sportlichen Freizeitbetätigung erlebt? Bitte schildern Sie Ihre Erfahrungen. Was haben Sie wo erlebt?"
59 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung